Vor dreißig Jahren, am 21. August 1991, starb Oswald von Nell-Breuning im gesegneten Alter von 101 Jahren. Auf den Seiten der Wissenschaftlichen Dienste der Konrad-Adenauer-Stiftung erinnert unser Mitglied Arnd Küppers an den Nestor der katholischen Soziallehre.
Aktuelles
„Das ist Nächstenliebe pur“
Brigitte Kellermann-Pauli engagiert sich seit Jahren für Obdachlose in Köln. Wir haben mit ihr über ihre Tätigkeit, ihre Motivation und die Bedeutung christlicher Ethik gesprochen.
Ordo socialis: Frau Kellermann-Pauli, wofür und seit wann engagieren Sie sich ehrenamtlich?
Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich u.a. in der Kirche aktiv (Pfarrgemeinderat, Jugendarbeit), seit 4 Jahren Vorsitzende des Kellerladen e.V., gegründet von Bruder Lukas Rügenberg aus Maria Laach, der sich besonders für sozial benachteiligte Familien, Kinder und Jugendliche einsetzt.
Seit 11 Jahren nimmt meine Gemeinde teil an der Aktion „Gute Nacht Cafe“, einer Initiative des Gubbio Köln, der katholischen Obdachlosenseelsorge im Franziskanischen Zentrum. Die damalige Leiterin, Sr. Franziska, hatte in einer Rundmail Pfarreien und Verbände um Hilfe gebeten, damit Schlafplätze für Obdachlose in den Wintermonaten bereitgestellt werden. Es fanden sich schnell genügend Interessierte, sodass unsere Pfarre seit der ersten Saison dabei ist. Die Aktion läuft von Anfang November bis Ende März, unsere Gruppe bietet jeden Mittwoch zehn Schlafplätze im Pfarrheim an. Die Gäste werden über das Gubbio und Mundpropaganda unterrichtet. Jeweils zwei Mitglieder unseres Übernachtungs-Teams (ein Mann und eine Frau) essen mit den Gästen zu Abend (heiße Würstchen und Brote), dann ist Nachtruhe. Am folgenden Morgen kommt zur Ablösung das Frühstücksteam mit frischen Brötchen, nach dem Frühstück werden die Gäste verabschiedet. Die anderen Wochentage werden von anderen Gruppen (Pfarreien, Heilsarmee, freie evangelische Gemeinde…) abgedeckt. Alle Gruppen stehen über E-Mail miteinander in Kontakt, im Gubbio gibt es mindestens einmal jährlich ein gemeinsames Treffen zur Planung und Austausch. Vom Gubbio werden Informationsveranstaltungen zur Situation der Obdachlosen in Köln angeboten.
Ordo socialis: Was war dabei bisher Ihre größte Herausforderung?
Tatsächlich die Planung der letzten Saison unter Corona-Bedingungen: Wir mussten ein differenziertes Hygiene-Konzept erstellen, das über das Gubbio mit Ordnungs- und Gesundheitsamt abgesprochen wurde. Die nötigen Anschaffungen (Masken, Desinfektion, Fieberthermometer) wurden von der Pfarre übernommen. Großartig war, dass sich genug Leute meldeten, die trotz Corona bereit waren, den Übernachtungs- und Frühstücksdienst zu übernehmen (es gab noch keine Impfung). Das gemeinsame Abendessen fiel leider aus, wir machten Teller nach Wunsch fertig, den jeder Gast an seinem Platz serviert bekam. Alle Gruppen haben an der Saison teilgenommen, sodass auch im Corona-Winter die Schlafmöglichkeiten zur Verfügung standen.
Ordo socialis: Woraus ziehen Sie Kraft und Inspiration für Ihr Engagement?
Zunächst aus der Tätigkeit an sich, das ist elementarer Dienst am Nächsten. Wir bekommen die sofortige Antwort von den Gästen, ihre Anerkennung und Dankbarkeit. Wir lernen eine ganz andere Welt kennen, andere Sorgen und Nöte, aber wir lachen auch miteinander und diskutieren über Politik, Fußball… Das inspiriert unser Team, dass wir sofort den Sinn unseres Tuns erfahren.
Außerdem ist der Einsatz zeitlich überschaubar und im Voraus planbar. Wir sehen zu, dass jede/r maximal vier Übernachtungen macht, das ist auch für Berufstätige machbar. Daher sind auch viele Männer begeistert dabei, weil so für sie ehrenamtliche Arbeit möglich ist.
Ordo socialis: Welchen Stellenwert hat für Sie dabei die christliche Ethik?
Das ist Nächstenliebe pur. Mehrere in unserem Team haben mit Kirche nichts zu tun, finden die Aktion aber toll und erkennen an, dass die Kirche etwas „Sinnvolles“ tut. Wir schließen jede Saison mit einem Wortgottesdienst unseres Teams in der Kirche ab, da kommen alle.
Auch unseren Gästen ist bewusst, dass der Impuls von der Kirche ausgeht, das wird durchaus anerkannt und auch so gesagt. In der Stadt treffen wir auch immer mal wieder unsere Gäste und dann reden wir miteinander oder trinken auch mal zusammen einen Kaffee, das tut beiden Seiten gut.
Ordo socialis: Welcher sozialen Schieflage, welchem Problem in der Gesellschaft sollte sich aus Ihrer Sicht christliche Sozialethik verstärkt widmen?
Gerechtigkeit und Teilhabe, das Gemeinwohl über den persönlichen Profit stellen. Von unseren Gästen erfahren wir, wie schnell man in eine Notsituation kommen kann, die zum sozialen Abstieg und Ausschluss aus der „normalen“ Gesellschaft führt.
„An die Ränder gehen“, lautet der Auftrag, wie Papst Franziskus ihn formuliert hat. Ob Arme (Tafel), Geflüchtete, Arbeitslose, Alleinerziehende, einsame Senioren…
100. Todestag von Franz Hitze (1851-1921)
Franz Hitze (1851-1921) war Generalsekretär des von dem Mönchengladbacher Unternehmer Franz Brandts (1834-1914) gegründeten Vereins Arbeiterwohl , in weiterem Sinne eine Art Vorläuferorganisation von BKU und Ordo socialis. Vor allem aber war Hitze der wohl bedeutendste katholische Sozialpolitiker im Kaiserreich. Am 20. Juli jährt sich sein Todestag zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass haben unsere Beiräte Professor Dr. Peter Schallenberg und Dr. Arnd Küppers Franz Hitze ein „Grünes Heft“ gewidmet.
Themen kirchlicher Soziallehre
Ein Podcast-Interview mit P. Dr. Stefanos Athanasiou bei Radio Maria Schweiz
In dem Interview spricht Dr. Arnd Küppers mit P. Dr. Stefanos Athanasiou, Dozent für Orthodoxe Theologie und Ethik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg und Mitglied des Beirats von Ordo socialis, über Grundfragen der kirchlichen Soziallehre. Dabei gehen sie auf die Geschichte der Soziallehre sowie auf aktuelle sozialethische Themen etwa auf den Feldern der Arbeitsethik und Umweltethik ein.
„Vorwärts zu den Wurzeln“
Manfred J. Hoefle war Manager bei Siemens und später selbständig als Berater und Coach. Zugleich hat er sich auch immer für grundsätzliche Fragen interessiert und engagiert Stellung bezogen. Seine Verbundenheit zur christlichen Sozialethik kommt in seiner Mitgliedschaft bei Ordo socialis zum Ausdruck. Hoefle ist Mitbegründer der Initiative SOCIETAS HUMANA – OECONOMIA SERVANDA, die jüngst einen Impulstext mit dem ambitionierten Titel „Ein ‚neuer‘ Gesellschaftsvertrag“ vorgestellt hat. Wir haben mit ihm über das Papier gesprochen.
Ordo socialis: Das Impulspapier Ein „neuer“ Gesellschaftsvertrag stammt von einer Initiative SOCIETAS HUMANA – OECONOMIA SERVANDA. Wer steht hinter dieser Initiative und was ist deren Ziel?
Hoefle: Zuerst zum Begriff: SOCIETAS HUMANA – OECONOMIA SERVANDA bedeutet nichts anderes als “Soziale Marktwirtschaft“, im Sinne von Wilhelm Röpke eben eine menschengerechte Gesellschaft und eine eingehegte Wirtschaft. Diese Initiative ist vorerst ein Diskussionskreis von Leuten mit breiter Wirtschafts- und viel Lebenserfahrung, man könnte sie „reflektierende Praktiker“, engagierte Bürger nennen, die sich um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel sorgen. Dieser Impuls will nicht zuletzt die fraktionierten katholischen Verbände und Gruppen mit Schwerpunkt Wirtschaft und Soziallehre „anstupsen“, Kräfte zu bündeln und forscher zu werden.
In dem Titel fällt sofort ins Auge, dass das Adjektiv „neu“ als Attribut des geforderten Gesellschaftsvertrages in Anführungszeichen steht. Bedeutet das, dass es eigentlich um die Wiederinkraftsetzung des alten Gesellschaftsvertrages geht?
Ich weiß, der Begriff Gesellschaftsvertrag ist hochgegriffen. Damit soll aber zum Ausdruck gebracht werden, dass Wirtschaft, Staat und Gesellschaft eine kommunizierende Gesamtheit bilden. Das „neu“ bedeutet gerade nicht fortschrittlich im Sinne einer Ideologie, des Mainstreams, sondern schlicht: Vorwärts zu den Wurzeln, zu den bewährten Grundsätzen einer verträglichen Gesellschaft und einer Wirtschaft, die damit im Einklang ist. Ein Beispiel dafür sind die „Düsseldorfer Leitsätze“ aus dem Jahr 1949; sie sind eine eindrucksvolle Kombination von christlichem Gesellschaftsbild und großem Pragmatismus. In der Tat geht es um die Wiedergewinnung von Ordnung, die Besinnung auf das, was eine Gesellschaft festigt und eine Wirtschaft gemeinwohlverträglich macht.
Sie unterscheiden sowohl bei der Problemanalyse als auch bei den Lösungsvorschlägen zwischen den drei Ebenen bzw. Systemen der Wirtschaft, des Staates und der Gesellschaft. Auf allen drei Ebenen liegt nach Ihrer Analyse manches im Argen und herrscht viel Reparaturbedarf. Wo aber liegt aus Ihrer Sicht die Wurzel des Übels, oder anders gefragt: Können Sie eine Fehlentwicklung benennen, die aus Ihrer Sicht zentral ist und auf die anderen Probleme wesentlich zurückzuführen sind?
Um es ohne Umschweife zu sagen: Der Zustand ist schlecht. Man braucht sich nur die vorgelegte Auflistung der Fehlentwicklungen durchsehen. Politik ist heute zu einem großen Teil mit dem Reparieren vorhersehbarer Schäden mit Hilfe von mehr Sozialstaat befasst und widmet sich bevorzugt allen möglichen vermeintlichen Ungerechtigkeiten. Der Staat beansprucht damit in wachsendem Maß einen moralischen Herrschaftsanspruch, was auf Dauer die Gesellschaft schwächen und die Demokratie auslaugen kann. Hauptproblem ist dabei die schleichende Entmündigung der Bürger. Das zeigt sich etwa bei der Ausdeutung von „sozial“. Die wohlfahrtsstaatliche Version heißt: mehr Geld, mehr Aufsicht, mehr Abhängigkeit; die bürgernahe, menschliche Variante bedeutet: mehr Miteinander, Caritas, Wertschätzung, Zugehörigkeit. Das leistet kein Sozialstaat. Ohne kleinteilige, überschaubare Strukturen, Subsidiarität von unten erkaltet eine Gesellschaft, beginnt sich aufzulösen.
Als Heilmittel auf gesellschaftlicher Ebene empfiehlt das Papier unter anderem das christliche Menschenbild als universale Orientierung, die Stärkung der Familie oder die Förderung der bürgerlichen Tugenden. Wie soll man sich das in der Umsetzung vorstellen in der postmodernen Konstellation einer zunehmenden Multikulturalität und sozialen Pluralität?
Diese Kritik ist aus meiner Sicht notwendig: Die Kirchen treten mir heute zu wenig offensiv für diese essentiellen Botschaften ein und weichen damit – um es profan auszudrücken – ihre Alleinstellungsmerkmale auf. Zu Ihrer Frage der Umsetzung: Aus der Geschichte, insbesondere der Kirchengeschichte lässt sich vieles lernen. Warum nicht an die Anfänge des Christentums denken oder an die Zeit nach der Französischen Revolution? Nach gewonnener Einsicht muss jedoch ein kraftvolles Eintreten, Vorleben kommen. Wenige können dann viel erreichen.
Social Market Economy for the 21st century: An International Peace Project
by Christopher Gohl, Nils Goldschmidt, Ulrich Hemel and Jeffrey Sachs
Our inner peace is increasingly strained. How we deal with climate change, digital transformation and migration, and whether we generate and distribute prosperity sustainably, will be decisive for a prosperous, peaceful coexistence. We propose that the economic order of Germany, the Social Market Economy, might be best suited for securing social peace and sustainable development in the 21st century – not only in Germany across all party lines, but everywhere in the world. As a form of responsibly regulated capitalism, it has a proven track record of ensuring that people live well.