Manfred J. Hoefle war Manager bei Siemens und später selbständig als Berater und Coach. Zugleich hat er sich auch immer für grundsätzliche Fragen interessiert und engagiert Stellung bezogen. Seine Verbundenheit zur christlichen Sozialethik kommt in seiner Mitgliedschaft bei Ordo socialis zum Ausdruck. Hoefle ist Mitbegründer der Initiative SOCIETAS HUMANA – OECONOMIA SERVANDA, die jüngst einen Impulstext mit dem ambitionierten Titel „Ein ‚neuer‘ Gesellschaftsvertrag“ vorgestellt hat. Wir haben mit ihm über das Papier gesprochen.
Ordo socialis: Das Impulspapier Ein „neuer“ Gesellschaftsvertrag stammt von einer Initiative SOCIETAS HUMANA – OECONOMIA SERVANDA. Wer steht hinter dieser Initiative und was ist deren Ziel?
Hoefle: Zuerst zum Begriff: SOCIETAS HUMANA – OECONOMIA SERVANDA bedeutet nichts anderes als “Soziale Marktwirtschaft“, im Sinne von Wilhelm Röpke eben eine menschengerechte Gesellschaft und eine eingehegte Wirtschaft. Diese Initiative ist vorerst ein Diskussionskreis von Leuten mit breiter Wirtschafts- und viel Lebenserfahrung, man könnte sie „reflektierende Praktiker“, engagierte Bürger nennen, die sich um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel sorgen. Dieser Impuls will nicht zuletzt die fraktionierten katholischen Verbände und Gruppen mit Schwerpunkt Wirtschaft und Soziallehre „anstupsen“, Kräfte zu bündeln und forscher zu werden.
In dem Titel fällt sofort ins Auge, dass das Adjektiv „neu“ als Attribut des geforderten Gesellschaftsvertrages in Anführungszeichen steht. Bedeutet das, dass es eigentlich um die Wiederinkraftsetzung des alten Gesellschaftsvertrages geht?
Ich weiß, der Begriff Gesellschaftsvertrag ist hochgegriffen. Damit soll aber zum Ausdruck gebracht werden, dass Wirtschaft, Staat und Gesellschaft eine kommunizierende Gesamtheit bilden. Das „neu“ bedeutet gerade nicht fortschrittlich im Sinne einer Ideologie, des Mainstreams, sondern schlicht: Vorwärts zu den Wurzeln, zu den bewährten Grundsätzen einer verträglichen Gesellschaft und einer Wirtschaft, die damit im Einklang ist. Ein Beispiel dafür sind die „Düsseldorfer Leitsätze“ aus dem Jahr 1949; sie sind eine eindrucksvolle Kombination von christlichem Gesellschaftsbild und großem Pragmatismus. In der Tat geht es um die Wiedergewinnung von Ordnung, die Besinnung auf das, was eine Gesellschaft festigt und eine Wirtschaft gemeinwohlverträglich macht.
Sie unterscheiden sowohl bei der Problemanalyse als auch bei den Lösungsvorschlägen zwischen den drei Ebenen bzw. Systemen der Wirtschaft, des Staates und der Gesellschaft. Auf allen drei Ebenen liegt nach Ihrer Analyse manches im Argen und herrscht viel Reparaturbedarf. Wo aber liegt aus Ihrer Sicht die Wurzel des Übels, oder anders gefragt: Können Sie eine Fehlentwicklung benennen, die aus Ihrer Sicht zentral ist und auf die anderen Probleme wesentlich zurückzuführen sind?
Um es ohne Umschweife zu sagen: Der Zustand ist schlecht. Man braucht sich nur die vorgelegte Auflistung der Fehlentwicklungen durchsehen. Politik ist heute zu einem großen Teil mit dem Reparieren vorhersehbarer Schäden mit Hilfe von mehr Sozialstaat befasst und widmet sich bevorzugt allen möglichen vermeintlichen Ungerechtigkeiten. Der Staat beansprucht damit in wachsendem Maß einen moralischen Herrschaftsanspruch, was auf Dauer die Gesellschaft schwächen und die Demokratie auslaugen kann. Hauptproblem ist dabei die schleichende Entmündigung der Bürger. Das zeigt sich etwa bei der Ausdeutung von „sozial“. Die wohlfahrtsstaatliche Version heißt: mehr Geld, mehr Aufsicht, mehr Abhängigkeit; die bürgernahe, menschliche Variante bedeutet: mehr Miteinander, Caritas, Wertschätzung, Zugehörigkeit. Das leistet kein Sozialstaat. Ohne kleinteilige, überschaubare Strukturen, Subsidiarität von unten erkaltet eine Gesellschaft, beginnt sich aufzulösen.
Als Heilmittel auf gesellschaftlicher Ebene empfiehlt das Papier unter anderem das christliche Menschenbild als universale Orientierung, die Stärkung der Familie oder die Förderung der bürgerlichen Tugenden. Wie soll man sich das in der Umsetzung vorstellen in der postmodernen Konstellation einer zunehmenden Multikulturalität und sozialen Pluralität?
Diese Kritik ist aus meiner Sicht notwendig: Die Kirchen treten mir heute zu wenig offensiv für diese essentiellen Botschaften ein und weichen damit – um es profan auszudrücken – ihre Alleinstellungsmerkmale auf. Zu Ihrer Frage der Umsetzung: Aus der Geschichte, insbesondere der Kirchengeschichte lässt sich vieles lernen. Warum nicht an die Anfänge des Christentums denken oder an die Zeit nach der Französischen Revolution? Nach gewonnener Einsicht muss jedoch ein kraftvolles Eintreten, Vorleben kommen. Wenige können dann viel erreichen.