Brigitte Kellermann-Pauli engagiert sich seit Jahren für Obdachlose in Köln. Wir haben mit ihr über ihre Tätigkeit, ihre Motivation und die Bedeutung christlicher Ethik gesprochen.
Ordo socialis: Frau Kellermann-Pauli, wofür und seit wann engagieren Sie sich ehrenamtlich?
Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich u.a. in der Kirche aktiv (Pfarrgemeinderat, Jugendarbeit), seit 4 Jahren Vorsitzende des Kellerladen e.V., gegründet von Bruder Lukas Rügenberg aus Maria Laach, der sich besonders für sozial benachteiligte Familien, Kinder und Jugendliche einsetzt.
Seit 11 Jahren nimmt meine Gemeinde teil an der Aktion „Gute Nacht Cafe“, einer Initiative des Gubbio Köln, der katholischen Obdachlosenseelsorge im Franziskanischen Zentrum. Die damalige Leiterin, Sr. Franziska, hatte in einer Rundmail Pfarreien und Verbände um Hilfe gebeten, damit Schlafplätze für Obdachlose in den Wintermonaten bereitgestellt werden. Es fanden sich schnell genügend Interessierte, sodass unsere Pfarre seit der ersten Saison dabei ist. Die Aktion läuft von Anfang November bis Ende März, unsere Gruppe bietet jeden Mittwoch zehn Schlafplätze im Pfarrheim an. Die Gäste werden über das Gubbio und Mundpropaganda unterrichtet. Jeweils zwei Mitglieder unseres Übernachtungs-Teams (ein Mann und eine Frau) essen mit den Gästen zu Abend (heiße Würstchen und Brote), dann ist Nachtruhe. Am folgenden Morgen kommt zur Ablösung das Frühstücksteam mit frischen Brötchen, nach dem Frühstück werden die Gäste verabschiedet. Die anderen Wochentage werden von anderen Gruppen (Pfarreien, Heilsarmee, freie evangelische Gemeinde…) abgedeckt. Alle Gruppen stehen über E-Mail miteinander in Kontakt, im Gubbio gibt es mindestens einmal jährlich ein gemeinsames Treffen zur Planung und Austausch. Vom Gubbio werden Informationsveranstaltungen zur Situation der Obdachlosen in Köln angeboten.
Ordo socialis: Was war dabei bisher Ihre größte Herausforderung?
Tatsächlich die Planung der letzten Saison unter Corona-Bedingungen: Wir mussten ein differenziertes Hygiene-Konzept erstellen, das über das Gubbio mit Ordnungs- und Gesundheitsamt abgesprochen wurde. Die nötigen Anschaffungen (Masken, Desinfektion, Fieberthermometer) wurden von der Pfarre übernommen. Großartig war, dass sich genug Leute meldeten, die trotz Corona bereit waren, den Übernachtungs- und Frühstücksdienst zu übernehmen (es gab noch keine Impfung). Das gemeinsame Abendessen fiel leider aus, wir machten Teller nach Wunsch fertig, den jeder Gast an seinem Platz serviert bekam. Alle Gruppen haben an der Saison teilgenommen, sodass auch im Corona-Winter die Schlafmöglichkeiten zur Verfügung standen.
Ordo socialis: Woraus ziehen Sie Kraft und Inspiration für Ihr Engagement?
Zunächst aus der Tätigkeit an sich, das ist elementarer Dienst am Nächsten. Wir bekommen die sofortige Antwort von den Gästen, ihre Anerkennung und Dankbarkeit. Wir lernen eine ganz andere Welt kennen, andere Sorgen und Nöte, aber wir lachen auch miteinander und diskutieren über Politik, Fußball… Das inspiriert unser Team, dass wir sofort den Sinn unseres Tuns erfahren.
Außerdem ist der Einsatz zeitlich überschaubar und im Voraus planbar. Wir sehen zu, dass jede/r maximal vier Übernachtungen macht, das ist auch für Berufstätige machbar. Daher sind auch viele Männer begeistert dabei, weil so für sie ehrenamtliche Arbeit möglich ist.
Ordo socialis: Welchen Stellenwert hat für Sie dabei die christliche Ethik?
Das ist Nächstenliebe pur. Mehrere in unserem Team haben mit Kirche nichts zu tun, finden die Aktion aber toll und erkennen an, dass die Kirche etwas „Sinnvolles“ tut. Wir schließen jede Saison mit einem Wortgottesdienst unseres Teams in der Kirche ab, da kommen alle.
Auch unseren Gästen ist bewusst, dass der Impuls von der Kirche ausgeht, das wird durchaus anerkannt und auch so gesagt. In der Stadt treffen wir auch immer mal wieder unsere Gäste und dann reden wir miteinander oder trinken auch mal zusammen einen Kaffee, das tut beiden Seiten gut.
Ordo socialis: Welcher sozialen Schieflage, welchem Problem in der Gesellschaft sollte sich aus Ihrer Sicht christliche Sozialethik verstärkt widmen?
Gerechtigkeit und Teilhabe, das Gemeinwohl über den persönlichen Profit stellen. Von unseren Gästen erfahren wir, wie schnell man in eine Notsituation kommen kann, die zum sozialen Abstieg und Ausschluss aus der „normalen“ Gesellschaft führt.
„An die Ränder gehen“, lautet der Auftrag, wie Papst Franziskus ihn formuliert hat. Ob Arme (Tafel), Geflüchtete, Arbeitslose, Alleinerziehende, einsame Senioren…