Am 10./11. Dezember hat die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit Ordo Socialis und der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Berlin eine Fachtagung zu dem Thema „Migration sozial und gerecht gestalten“ veranstaltet. Der Fokus lag dabei auf der Migration innerhalb Afrikas und von Afrika nach Europa. Neben internationalen Experten aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen nahmen auch Politiker, Wirtschaftsvertreter sowie Repräsentanten kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen an dem intensiven Austausch teil.

Zu dem Thema Binnenmigration in Afrika sprach als erste Rednerin die senegalesische Unternehmerin Dr. Anne-Catherine Dior Senghor Beye, Trägerin des Ordo Socialis Preises 2018. In ihrem engagierten Vortrag betonte sie, dass die westafrikanischen Migrantinnen und Migranten in ihrer großen Mehrzahl durch wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und blanke Not aus ihrer Heimat getrieben würden. Sie appellierte an die Europäer, diesen Menschen mit Solidarität und Nächstenliebe zu begegnen. Zugleich zeigte sich Frau Senghor Beye überzeugt, dass die Probleme Afrikas nicht durch Migration, sondern nur durch Veränderungen in den afrikanischen Ländern selbst gelöst werden können. Der Schlüssel liege in einer wirtschaftlichen Entwicklung, die den Menschen Lebensperspektiven vor Ort eröffnen müsse.
Die im Senegal für ihr soziales Engagement bekannte Unternehmerin nannte es einen Skandal, dass die in Afrika abgebauten Rohstoffe und erzeugten landwirtschaftlichen Güter ganz überwiegend im Ausland weiterverarbeitet würden. Das betreffe im Senegal etwa den Kakao. Wenn man wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven für Westafrika eröffnen wolle, müsse man hier ansetzen und kleinen sowie mittleren lokalen Unternehmen Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Als Unternehmerin glaube sie an Markt und freien Handel – aber es brauche einen internationalen Markt, auf dem nicht das Recht des Stärkeren herrsche, sondern ein fairer Wettbewerb im Sinne der deutschen Sozialen Marktwirtschaft. Daran hapere es in vielen afrikanischen Ländern und im internationalen Handel. Die Gründe dafür seien vielfältig und von Land zu Land durchaus unterschiedlich gewichtet. Im Inneren vieler afrikanischer Länder seien Korruption und Ineffizienz der Verwaltung ein großes Problem. In Bezug zur Europäischen Union würden nicht-tarifäre Handelshemmnisse die afrikanische Wirtschaft nach wie vor stark ausbremsen. Zugleich nötigten internationale Organisationen wie IWF und Weltbank afrikanische Länder oft dazu, ihre eigenen Märkte zu früh für den Import zu öffnen, was den noch nicht wettbewerbsfähigen lokalen Unternehmen dann jegliche Entfaltungsmöglichkeit entziehe. Schließlich spielten internationale Großkonzerne nicht selten eine negative Rolle, weil sie sich allzu oft nicht um die Arbeits- und Lohnbedingungen vor Ort kümmerten und nur an der Ausbeutung afrikanischer Rohstoffe, aber nicht an der Entwicklung der lokalen Infrastruktur interessiert seien. Eine afrikanisch-europäische Entwicklungs- und Wirtschaftspartnerschaft müsse alle diese Faktoren in den Blick nehmen, wenn man nachhaltigen Erfolg zum wechselseitigen Vorteil erreichen wolle.

Die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven Afrikas standen auch im Mittelpunkt einer öffentlichen Abendveranstaltung, bei der zum Abschluss des ersten Konferenztages der stellvertretende OECD-Generalsekretär Dr. Ludger Schuhknecht sowie Christoph Kannengießer, Geschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, mit Professor Obiora Ike, Direktor des Global Ethics Centre in Genf und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis, über den Marshallplan mit Afrika und den Compact with Africa diskutierten. Die drei Panelisten vertieften unter der Moderation von Dr. Arnd Küppers, stellvertretender Direktor der KSZ sowie Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis, eine Reihe der Punkte, die bereits Frau Dr. Senghor Beye in ihrem Vortrag angesprochen hatte. Mit ihr waren sich alle drei einig, dass eine positive wirtschaftliche Entwicklung der Schlüssel ist, wenn man verhindern möchte, dass immer mehr gut ausgebildete junge Afrikaner ihrer Heimat den Rücken kehren und ihr Heil in Europa suchen.
Dabei ist es aber durchaus nicht im Interesse von Europa, die Migration aus Afrika möglichst gering zu halten. Genauso wie eine Entwicklungs- und Wirtschaftspartnerschaft muss auch eine Migrationspartnerschaft zum gegenseitigen Vorteil das Ziel sein. Das betonten am zweiten Konferenztag sowohl der Bundestagsabgeordnete Peter Weiß als auch Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, in ihrer Diskussion mit dem nigerianischen Theologen und Sozialexperten Dr. Tobe Nnamani. Deutschland habe seinen Fachkräftebedarf bislang durch Zuwanderung aus anderen, insbesondere osteuropäischen EU-Ländern decken können. Das aber werde zunehmend schwierig. Viele osteuropäische Mitgliedsländer in der EU hätten sich zwischenzeitlich wirtschaftlich derart positiv entwickelt, dass sie nun selbst einen Fachkräftemangel hätten. Es gebe auch angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland und Europa gar keine andere Perspektive, als diesen wachsenden Bedarf auch durch Zuwanderung von Fachkräften aus dem nicht-europäischen Ausland zu decken.

Mit dem Paderborner Moraltheologen Prof. Dr. Peter Schallenberg, zugleich Direktor der KSZ, war ein weiteres Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis auf einem der Konferenz-Panel vertreten. Mit Gerald Knaus, dem durch die Idee des EU-Türkei-Abkommen bekannt gewordenen Vorsitzenden der European Stability Initiative, und Bernward Ostrop vom Deutschen Caritasverband diskutierte Dr. Schallenberg über die zukünftige Ausgestaltung europäischer Migrationspolitik. Knaus, der die Hauptherkunftsländer der afrikanischen Migranten in den letzten Jahren immer wieder besucht hat, betonte die enorme wirtschaftliche Bedeutung, die die Rücküberweisungen der Emigrierten für deren Familien und die afrikanischen Volkswirtschaften insgesamt haben. Deshalb hätten die politisch Verantwortlichen in Afrika gar kein Interesse an Rückkehr und Rückführungen ihrer Staatsbürger. Wenn europäische Politiker das ändern wollten, müssten sie den Gedanken der Migrationspartnerschaft wirklich ernst nehmen und Vereinbarungen anstreben, die echte Win-Win-Situationen erzeugen. Insbesondere wenn Europa legale Wege der Zuwanderung aus Afrika eröffne und unterstütze, könne man auch mehr Hilfe der afrikanischen Partner bei der Rückführung illegaler Zuwanderer erwarten.
Mit seinem „Gambia-Plan“ hat Knaus einen konkreten Vorschlag erarbeitet, wie ein entsprechendes bilaterales Abkommen aussehen könnte: Gambia verpflichtet sich, alle Bürger zurückzunehmen, die nach einem bestimmten Stichtag illegal nach Deutschland einreisen oder die straffällig werden. Im Gegenzug gibt Deutschland allen bereits hier lebenden Gambiern eine Aufenthalts-, Ausbildungs- und Arbeitserlaubnis sowie eröffnet in begrenztem Umfang auch die Möglichkeit weiterer legaler Zuwanderung.

Seitens des Vorstands von Ordo Socialis dankten sowohl Prof. Dr. Ralph Bergold als auch Dr. h. c. Josef Thesing der Konrad Adenauer Stiftung dafür, dass sie diese Tagung möglich gemacht hat, sowie für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Planung, Organisation und Durchführung des anspruchsvollen internationalen und interdisziplinären Konzepts. Seitens der Stiftung gab Dr. Peter Fischer-Bollin, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit, den Dank an die Kooperationspartner zurück. Er betonte, dass die Soziallehren der Kirchen nach wie vor zu dem tragenden Fundament der Arbeit der Konrad Adenauer Stiftung gehörten und dass man den von Ordo Socialis und KSZ betriebenen Dialog zu diesem Thema für sehr wertvoll halte und gerne unterstütze.
