Bekommen Chaos und Desorientierung die Oberhand ?
Eine Analyse des stellv. Vorstandsvorsitzenden von Ordo socialis, Herrn Dr. Thomas Köster, Leiter des Kompetenzzentrums Soziale Marktwirtschaft von Handwerk NRW in Düsseldorf.
Beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos Anfang 2017 hielt der kommunistische Führer Chinas ein flammendes Plädoyer für freien Welthandel. Gleichzeitig bekannte sich der neugewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nachhaltig zu einer Politik des Protektionismus. In immer mehr Ländern sind autoritäre Regierungsformen auf dem Vormarsch. Verfassungsgerichte werden von der Willkür der Regierenden abhängig gemacht. Freie öffentliche Meinung wird durch Verunglimpfung und Einschränkung einer freien Presse behindert. Die Legitimität unserer Wirtschaftsordnung wird durch teilweise betrügerisches Fehlverhalten wichtiger Akteure in Wirtschaft und Finanzwesen in Frage gestellt. In einigen Ländern bildet sich eine neue Klassengesellschaft heraus. Das alles legt den Schluss nahe: Chaos und Desorientierung kennzeichnen in einer ganzen Reihe von Ländern das Bild der Gegenwart.
Ja, das stimmt. Diese Tendenzen sind vorhanden. Umso wichtiger ist es, der Desorientierung entgegenzutreten und den inneren Kompass zu schärfen. Die Christliche Gesellschaftslehre und die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft bieten Koordinatensysteme, die Orientierung auch in sehr stürmischer Zeit verschaffen. Woran sollen wir uns denn ansonsten festhalten? Personalität verbietet Ausgrenzung anderer Menschen. Subsidiarität ist mit Zentralismus, Autoritarismus und Diktatur unvereinbar. Solidarität hilft Klassentrennung zu überwinden. Gemeinwohlbindung bleibt ohne die Wächterfunktion einer freien Presse und unabhängiger Verfassungsgerichte ein leeres Wort.
Ein konstituierendes Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft ist die Haftung der Entscheidungs-träger. Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Gegen kein Prinzip ist in der Wirtschafts- und Finanzkrise stärker verstoßen worden. Häufig wurden die Gewinne privatisiert (bei Minimierung der Steuerlast) und die Verluste sozialisiert. Besonders problematisch sind die Anreizstrukturen für die handelnden Akteure in Publikums-Aktiengesellschaften in Streubesitz. Eigentum und Unternehmensführung liegen nicht in einer Hand. Die Eigentumsverhältnisse sind atomisiert. Der Kleinaktionär hat keinen Einfluss und will ihn zumeist auch gar nicht haben. Fondsgesellschaften schicken nur selten Vertreter in die Aufsichtsräte. Die Folge: Die Funktion des echten Eigentümers, der sich um sein Eigentum kümmert, wird in Publikums-Aktiengesellschaften in Streubesitz der Tendenz nach nicht wahrgenommen. Dies gilt insbesondere bei Milli-Sekunden-Handel von Anteilswerten. Damit drohen Aufsichtsrat und Vorstand zu einem in sich geschlossenen und wenig transparenten System zu werden, in dem eine Kultur der Verantwortlichkeit nur selten gedeihen kann. Im Insolvenzfall bedeutet dies: Eigentümer und Gläubiger oder aber der Steuerzahler haben den Schaden, die verantwortlichen Vorstände und Aufsichtsräte aber entgehen jeder persönlichen Haftung, wenn ihnen nicht Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Mangelnde Haftung ist zugleich ein Treibsatz für eine Abwärtsspirale bei der Einhaltung von Ethik-Standards in Unternehmen. Zahlreiche Beispiele können dies belegen. Dass dann die Akzeptanz unserer Wirtschaftsordnung in breiten Kreisen unserer Bevölkerungen schwindet, kann niemanden erstaunen. Eine Änderung der Anreizsysteme für die Akteure auf den Führungsetagen von großen Publikums-Aktiengesellschaften im Sinne einer verstärkten Verantwortungskultur ist deshalb überfällig.
Christliche Gesellschaftslehre und Soziale Marktwirtschaft können hier als Wegweiser hilfreich sein. Die BKU-Schrift „Mut zur Verantwortung – Eigentümerverantwortung als Grundlage unserer Wirtschaftsordnung“ (siehe www.ordosocialis.de/publikationen/) stellt hierzu konkrete Reformschritte zur Diskussion. Zu dieser Thematik benötigen wir eine länderübergreifende Diskussion.
Ordo socialis als internationale Plattform für wichtige Texte der Christlichen Gesellschaftslehre müsste umgehend gegründet werden, wenn sie nicht bereits existierte.
Thomas Köster