Lange Zeit war das Nachdenken über Gerechtigkeit die exklusive Domäne von philosophischer und theologischer Sozialethik. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich aber auch Sozialpsychologie und empirische Soziologie mit dem Thema. Diesen Disziplinen geht es nicht um die theoretische Begründung von Gerechtigkeitskonzeptionen, sondern darum zu untersuchen, welche Werte und Einstellungen Menschen in Bezug auf Gerechtigkeitsfragen haben, was für Verhaltensweisen sie zeigen, welche gesellschaftlichen Diskurse zu dem Thema geführt werden und wie sich all dies auf soziale Institutionen auswirkt. Der Lubliner Theologe Stanisław Fel vertritt die Auffassung, dass diese empirischen Forschungsarbeiten auch für die normative Sozialethik relevant sind. Denn das theoretische Nachdenken über Gerechtigkeit war und ist von dem je zeitbedingten gesellschaftlichen Kontext mit seinen sozialen Konflikten und vorherrschenden Wertüberzeugungen keineswegs unabhängig. Theorie und Praxis beeinflussen einander.